ZRS-BLOG CO -WORKING | Die neue Landarbeit
Juli 2023 | Autorin: JULIA DONÁTH-KNEER (netzwerk südbaden)
New Work funktioniert im ländlichen Raum anders. Es geht mehr um den Austausch und die Begegnung als um reine Bürofläche. Das heißt: Es müssen neue Konzepte her.
Co-Working auf dem Land ist ein vergleichsweise neues Phänomen, aber eines, das massiv an Fahrt gewinnt – auch in der Region. „New Work ist auch auf dem Land ein Thema, das Potenzial dafür ist da“, sagt Ralf Binder. Er ist einer der drei Geschäftsführer von „Zukunft Raum Schwarzwald“, einem von der EU und dem Land Baden-Württemberg gefördertem Projekt, das unter anderem Pop-up Co-Working-Spaces in kleineren Gemeinden zwischen Offenburg und Lörrach eröffnet. Insgesamt 17 Standorte sind geplant. Anders als in Ballungszentren, in denen Co-Working seit Anfang der 2000er Jahre ein etabliertes Konzept ist, muss man im dörflichen Kontext erstmal erklären, was das ist, was es bringt und für wen sich diese Form der Arbeit eignet. „Es geht darum, den Begriff Co-Working mit Inhalt zu füllen, der erklärt sich nicht von selbst“, berichtet Felix Tritschler, der das Projekt „Wälderherz“ in Neustadt betreut.
Einen Arbeitsplatz zu schaffen, an dem verschiedene Men- schen unabhängig voneinander und doch gemeinsam arbeiten können, das ist die Grundidee. Es treffen sich Selbständige und Angestellte verschiedener Branchen, Alters- und Gehalts- gruppen, die einen Büroplatz mitsamt Infrastruktur tage-, wochen- oder monatsweise anmieten können. Ursprünglich entstanden die Co-Working-Arbeitsplätze in den Metropolen für junge Freiberufler, weil Bürofläche knapp, die Mietdauer lange und die Miete selbst teuer ist. Auf dem Land war Platz- mangel nie das Problem, auch die Altersstruktur ist eine andere. Hier sind es vielfach Pendler, die nicht allein im Homeoffice vor sich hinwurschteln möchten. „In Löffingen haben wir zum Bei- spiel die Erfahrung gemacht, dass es vor allem Angestellte sind, die nicht täglich nach Villingen-Schwenningen oder nach Freiburg reinfahren wollen“, berichtet Ralf Binder.
Jedes Dorf ist anders
„Ob Co-Working auf dem Land gelingt, hängt vor allem davon ab, obmandie Leute motivierenkann“, erklärt Simone Dirschka, die als Community-Managerin schon viele Projekte betreut hat. „Bedarfe zu sammeln ist im ländlichen Raum wichtiger als in der Stadt, wo auch standardisierte Konzepte funktionieren. Das geht auf dem Land überhaupt nicht.“ Sie organisiert Veran- staltungen, spricht mit Vereinen, klopft Interessen ab, aktiviert Netzwerke, spricht Gründer und Gründerinnen an.
Dabei immer im Hinterkopf: Jedes Dorf ist anders. Manch- mal ist die Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr ent- scheidend – in Löffingen gab es sogar die Überlegung, den Co-Working-Space direkt ins Bahnhofgebäude zu legen – andere Orte haben nicht mal eine Bushaltestelle. Ein wei- terer Faktor: Geld. „Die Betreiberschaft ist schwieriger zu organisieren“, erklärt Ralf Binder. „Den Betrieb wirtschaftlich gewinnbringend hinzubekommen, funktioniert oft nur, wenn die Kommune mitmacht und zum Beispiel selbst die Räum- lichkeiten mietet.“ Es ist Dienstleistung für die Bürger, aber auch im Eigeninteresse der Gemeinde auf diese Weise die eigene Region attraktiver zu machen für die flexibel arbei- tende Bevölkerung. Im besten Fall profitieren ortsansässige Einzelhändler und Gastronomen davon, dass die Menschen tagsüber im Dorf bleiben.
Das ist zum Beispiel im „Wälderherz“ so. Initiatorin war die Stadt Titisee-Neustadt, gefördert wird das Pop-up-Projekt vom baden-württembergischen Wirtschaftsministerium. „Unser Ziel war die Belebung der Innenstadt, aber es ging auch darum, Bedarfslücken zu schließen“, erklärt Projekt- leiter Felix Tritschler. Die Idealvorstellung: Mit einem Ort wie dem „Wälderherz“ die Touristen von Titisee nach Neustadt zu locken. Das Konzept steht auf drei Säulen: Es gibt das Café Wilma, außerdem ein Pop-up mit Showcorner, in dem sich Händler einmieten und Waren verkaufen können, und mehrere Co-Working-Arbeitsplätze, die man flexibel mieten kann. Wer den Monatsbeitrag von 289 Euro zahlt, bekommt einen festen Arbeitsplatz, abschließbare Ablagefläche und die Möglichkeit, separate Meetingräume zu buchen. „Da ist noch Luft nach oben“, meint Felix Trischtler. Häufiger wird das flexible Halb- oder Ganztagesticket (6 bzw. 12 Euro) gewählt.
Auch das Team von „Zukunft Raum Schwarzwald“ beobach- tet, dass auf dem Land Flexibilität eine nicht zu unterschät- zende Rolle spielt. „Manche entscheiden morgens spontan, ob sie heute ins Büro fahren oder die Co-Working-Räume nutzen wollen“, sagt Ralf Binder. Dazu muss man allerdings wissen: Bei diesem Pop-up-Konzept sind die Arbeitsplätze kostenfrei, Spontanität entsprechend einfacher.
Mehr als nur ein Schreibtisch
Doch Co-Working auf dem Land ist viel mehr als reiner Büroraum, das betonen alle, die mit dem Thema zu tun haben. Das ist zum einen wirtschaftlich nötig, weil sich das reine Arbeitskonzept oft nicht allein tragen kann. Denn auf dem Land reichen die Mietkosten der Co-Worker nicht aus, um alle Kosten zu decken. Und es hat zum anderen mit der besonderen Situation im dörflichen Kontext zu tun: Da die Nachfrage schwieriger einzuschätzen ist, sind die Projekte, die entstehen, mit den Akteuren vor Ort individuell geplant. Das lässt viel mehr Spielraum zu als in der Stadt, in der oft einfach leere Büroräume umfunktioniert werden und auf Kurzzeitmieter warten.
Aktuelle Beispiele aus der Region gibt es zuhauf:
In Grenzach-Wyhlen ist es ein integriertes Café-Konzept gewesen, das zum Treffpunkt wurde und um das sich dann die Co-Working-Arbeitsplätze gruppierten. „Das war ein wertvoller Anker, an dem sich das Co-Working-Konzept anschließen konnte“, sagt Simone Dirschka. In Löffingen werden die Büroräume auch von der Stadt selbst – zum Beispiel für die Bürgersprechstunde des Bürgermeisters oder für sogenanntes Job-Speeddating – genutzt. In Neu- stadt gibt es neben den Co-Working-Arbeitsplätzen Bühnen für Vorträge, auf denen auch Konzerte stattfinden. Auf diese Weise werden die entstehenden Räume zu Lückenfüllern, sie tragen zur Grundversorgung eines Ortes bei, decken kulturelle und soziale Bedürfnisse ab. Denn idealerweise geht die Nutzung auf dem Land noch weiter: Co-Working-Spaces können Räume schaffen, die auch von den Alteingesessenen in Beschlag genommen werden – für Nähcafés, Vereinsabende oder einen Spiele- treff. „So entsteht ein Gegenentwurf zu dem klassischen, urbanen, kooperativen Miteinander hin zu einem sozialen Nutzen“, sagt Simone Dirschka. „Fast so etwas wie ein neuer Marktplatz.“